E adesso Belun, pedala
Gestern, 30. Juli, war ein „historischen Tag“ für die Bergbewohner des Venetos. So stand es wenigstens in vielen Presseaussendungen. Im Venezianischen Regionalrat wurde gestern ein Gesetz beschlossen, um der „specificità della montagna“ genüge zu tun. Nach zwei Jahren Stillstand wurde gestern, 30. Juli, dem Artikel 15 Absatz 5 des Venezianischen Statuts etwas Leben eingehaucht. Jenem Artikel also, der montanen Realitäten sowie deren sprachlichen Minderheiten gerechtere und problemspezifischere Verwaltung versprach. Zwei Jahre, die das Verhältnis Venedigs zu seinen Bergbewohnern, allen voran den Bellunesern, stark belastet haben, gewürzt mit Desinteresse der in Venetien regierenden Lega Nord, aber auch mit Verstrittenheit der politischen Klasse im Bellunesischen.
Endlich konnten sich die Bellunesischen Regionalpolitiker dazu durchringen, für die gute Sache an einem Strang zu ziehen. Wenn man so will, war dies das eigentliche Historische. Dario Bond (FI), Sergio Reolon (PD), Matteo Toscani (Lega) und Pietrangelo Pettenò (Sinistra Veneta) hatten gemeinsam den Gesetzesentwurf 370 im Regionalrat eingebracht. Bond «Il momento è storico, per questo il fronte bellunese deve rimanere unito.», ging es richtig zu Herzen:
Interventi a favore dei territori montani e conferimento di particolari condizioni di autonomia amministrativa, regolamentare e finanziaria alla provincia di Belluno. Questa legge non favorisce solo Belluno, ma interviene anche a favore di tutti i territori montani delle province di Treviso, Verona e Vicenza. Il “cuore”
Oder wie es Sergio Reolon formuliert:
Questa legge è un atto di civiltà perché nasce dal riconoscimento delle differenze, che sono morfologiche, demografiche, sociali, economiche e culturali. […] Dal 1971 ad oggi la montagna veneta ha perso un terzo degli abitanti.
Angeführt von Jacopo Massaro, dem ersten Bürger der Stadt Belluno, «È la nostra opportunità per contrastare lo strapotere di Trento e Bolzano» begleiteten zig Bürgermeister die Delegation nach Venedig, um durch physische Präsenz die Geschlossenheit der Reihen zu untermauern.
Nach einer nicht ganz widerstandslosen Debatte («Le risorse non ci sono. Non possiamo prendere in giro i sindaci ed i cittadini bellunesi.», Frederico Caner, Lega Nord) wurde das Gesetz ohne Gegenstimme angenommen. Man kann sich vor lauter selbstbeweihräuchernden und selbstfeiernden Presseausmeldungen gar nicht mehr wehren:
Matteo Toscani (Lega): «Oggi l’assemblea legislativa ha fatto quanto doveva ed era nelle sue possibilità.»
Roger De Menech (PD): «A Venezia, come a Roma, il Partito democratico conferma la propria natura federalista.»
Antonino Pipitone und Gennaro Marotta (Italia dei Valori): «Bene, maggiore autonomia a Belluno»
Giovanni Piccoli (FI): «Bene la Regione, ora tocca al governo fare la propria parte.»
Erika Dal Farra (PD): «E’ la volta buona. Ora c’è un clima di condivisione in Regione.»
Paolo Doglioni (Confcommercio): «Un plauso corale a quanti hanno voluto con forza questa norma»
Federico Caner (Lega): «Mi auguro ora che il consigliere Reolon e l’intera opposizione del Pd facciano una battaglia a Roma con l’aiuto dei propri esponenti al Governo al fine di assicurare adeguati finanziamenti da parte dello Stato.»
Will man jedoch einen Blick auf das Inhaltliche wagen, bleibt von „Autonomie” wenig übrig. Nun müssen wir fairerweise unterstreichen, dass es sich um Autonomie in Hinblick auf die Region Veneto und nicht wie bei uns in Hinblick auf den Staat handelt, was die Möglichkeiten per Definition einschränkt. Die „norma in pillole“ macht aber immerhin interessante finanzielle Zugeständnisse: Von den Erträgen der staatlichen Wasserkraftwerke verbleiben in Zukunft etwa das Doppelte der bisherigen 7 Millionen Euro im Land unter der Vajont-Mauer. (Immerhin. Kurzer Größenvergleich: der Fondo Ex-ODI liegt bei 40 jährlichen Millionen). Weiters gibt es eine Reihe an Mini-Zugeständnissen für die “particolari forme di autogoverno per la Provincia di Belluno”, die zusammengerechnet geschätzte 20 Millionen an Kompetenzverschiebungen von Region zu Provinz ergeben sollen.
Nicht undankbar, aber ein bissel skeptisch wird der „historische Tag“ im Bellunesischen gesehen: Mit «Il sogno dell’autonomia bellunese diventa realtà, almeno sulla carta.» beginnt der Corriere delle Alpi seine Zusammenfassung der Ereignisse und schließt mit den zweifelnden Worten: «Ora si apre una fase nuova per Belluno ma non mancano gli interrogativi: la nuova Provincia pensata da Delrio saprà gestire queste compentenze?» Das ist kein Selbstkomplex sondern schlicht die Sorge, dass nach der Verfassungsreform im Bellunesischen keine demokratische Instanz mehr übrigbleibt, mit der Selbstverwaltung überhaupt möglich wäre. «E adesso Belun pedala…» spricht ein Kommentator auf Bellunopress aufmunternd Mut zu.
Gian Domenico Cappellaro, Präsident der Confindustria prophezeite schon im April: «Specificità, per i bellunesi sarà l’ennesima beffa.» Auch Paolo Bampo (Liga) kann sich der Möglichkeiten im Rahmen der Initiative nicht erwärmen, sieht die Zukunft aber umso klarer vor Augen.
Cosa c’entra questo con l’autonomia? Anzi. Questi “illusionisti” parlano di autonomia e non di “elemosine” a riguardo di ciò che Venezia potrebbe inviare a Belluno. La battaglia autonomista del passato non è stata fatta a beneficio degli “avvoltoi politici”. Quella del futuro sarà per dare l’autonomia della Regione dolomitica all’interno del nuovo Stato indipendente del Veneto.
Ähnlich enttäuscht kommt BARD-Chef Moreno Broccon mit den Worten „Dopo la discussione in Consiglio Regionale, confermo la tesi di fondo.“ zu einem etwas anderen Schluss und postet auf Facebook genervt folgendes, vielsagendes Bild:
Ob wir in Südtirol und Trentino daraus eine Gefahr, eine lästige Verantwortung oder eine historische Chance ableiten, ist hierzulande noch nicht ausreichend diskutiert worden. Aber der Plan, Renzis Verfassungsreform nur wegen des Randvermerks zur Garantie unserer Autonomie zuzustimmen, muss aus Belluneser Sicht schon als Zynismus gewertet werden.
[veröffentlicht auf Salto, am 31. Juli 2014]
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