Direktdemokratisch und umweltbesorgt: wir
Wir Südtiroler haben es beim Flughafenreferendum denen da oben so richtig gezeigt und sonnen uns im Erfolg. Wie heuchlerisch ist das denn?
Die Bevölkerung hätte sich trotz einer Referendumsbeteilung (sorry: Volksbefragungsbeteiligung) von unter fünfzig Prozent als direktdemokratisch reif erwiesen. Dem Landeshauptmann hingegen, der ohne Zwang und trotz offensichtlich innerer Überzeugung den Flughafen der Bevölkerung zur quorumsfreien Abstimmung überließ, wird jetzt vorgeworfen, er wäre weit von der Bevölkerung entfernt „wie noch nie“. Grad so, als wolle man ihm den demokratischen Strick drehen, oder wegen mangelnder Repräsentanz die Legitimierung absprechen. Das Volk feiert seine Reife, als ob die Abhaltung des Referendums des Volkes Errungenschaft gewesen wäre und also ob jetzt das Volk künftig das ewige Recht auf quorumsfreie Referenden erzwungen hätte. Dabei prügelt es den Initiator, der daraus eigentlich nur eine Lehre ziehen kann: nie wieder freiwillig eine Volksbefragung auszurufen.
„Das Märchen von der schlechten Erreichbarkeit“ war ein als entlarvend gedachtes Gegenargument der Flughafengegner. Gewiss, Richtung Süden ist Südtirol, sagen wir Bozen, erstaunlich gut erschlossen. Der Blick Richtung Süden ist nach ökosozialer Denkart der Blick auf die Welt, der einzig Blick nach Europa. Darum folgerichtig: Flüge nach Fiumincino sind nicht nur entbehrbar, weil der römische Hauptbahnhof wesentlich zentraler liegt als der Flughafen, sondern auch weil Fiumincino als weltweiter Hub hinterherhinkt und als Drehschiebe in Richtung Europa geographisch schlicht suboptimal gelegen ist. Punkt. Doch lassen wir die Auslandssüdtiroler zu Wort kommen, also jene, denen man in Sachen Erreichbarkeit sicher nicht die Kompetenz absprechen kann:
Die Briefwählerinnen entschieden sich zwar zu 54% für den Flughafen, aber nachdem sie nach neuester, schicker Zählart zu den „Großkopfeten“ gehören, wollen wir uns abfällig abwenden. Nur die 46% der Auslandssüdtiroler sind gute Südtiroler, weil sie eben nicht in Zeitnot über den Brenner müssen, sondern „reisen“ (dürfen). Die anderen erzählen Märchen.
So wie unser guter Flor, Vorzeigeflughafengegner, der von Zügen gen Rom verwöhnt und den ich neulich zufällig den EC Richtung Norden besteigen sah. War ich neidisch! Nicht wegen der ersten Klasse, sondern wegen dem Lenz, den ich auch einmal haben möchte, mittags um 12:34 entspannt meine „Reise“ antreten zu dürfen. Meine berufliche Reiserealität schaut leider anders aus. Für diejenigen, die mit dem Flor-gerechten Fahrplan Richtung Norden nicht so vertraut sind, sei hier eine Zusammenstellung wieder gegeben:Wer beruflich in München und co zu tun hat, wird es sich kaum leisten können, erst mittags zu Terminen zu erscheinen, geschweige denn nach 14:21. Auch ein eventueller Abflug ab Franz-Joseph-Strauß spielt sich für die berufstätige Klasse tendenziell am Vormittag ab, sollte der Arbeitstag auch der Arbeit und nicht nur dem Reisen gewidmet sein. Also bleibt nach Norden nur der gute, alte Straßenverkehr. Und dann sind wir gleich wieder bei den Lieblingsargumenten der Flughafengegner: Lärm und Luftverschmutzung. Gute Argumente, finde ich, während ich jenseits des Tempolimits unnütz Lebenszeit vernichtend über die A22 donnere und völlig gestresst vom Reisen per Bahn träume, bis mich bei der Mautstation Sterzing die Realität des Urlaubslandes einholt.
Aber nein, der ständige Stau in Sterzing ist kein Thema für uns Umweltbesorgten. Genausowenig wie wir uns darüber brüskieren, wenn unsere Handelskammer die Nordtiroler verklagt, weil diese sich (und somit uns) verzweifelt vor Transitdauerbelastung schützen wollen. Pflichtbewusste Oppositionsarbeit legt sich mit dem Landeshauptmann an. Für Seitenhiebe auf den Handelskammerpräsidenten gibt es kein politisches Kleingeld, sondern nur schlechte Presse. Entsprechend laut bzw. leise die Fangemeinde.
Die Schlacht um den Flughafen ist geschlagen, die Mehrheit eindeutig. Vielleicht ist das auch eine modern nachhaltige Interpretation des Landes Zukunft. Nur bange ich halt jetzt um unsere Glaubwürdigkeit. Was wichtig wäre für Erreichbarkeit, was wichtig wäre zur Verringerung der Luftverschmutzung, wird dem umweltbesorgten und direktdemokratischen Südtirolertum weiterhin herzlich egal sein. Hauptsache, wir haben’s denen so richtig gezeigt.
[veröffentlicht auf Salto, am 13. Juni 2016]
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