Gottes Rache
Da sei sie nun, Gottes Rache, die die Menschheit in Form der Corona-Pandemie heimsucht. Strafe für die Globalisierung. Lasst uns zurückkehren zu den Nationalismen.

Gib uns unsere täglichen, in möglichst bunten Grafiken präsentierten Statistiken, diese exponentiellen Kurven, die wir täglich mit Sensationslust konsumieren. Hah! Südtirol früher abgeflacht als Italien. Die Deutschen, die arroganten, voll auf unserer normalisierten Kurve, Schwankungsbreite beiseite, vielleicht sogar etwas steiler. Erleichterung bei der Kurve blau. Häme bei der Kurve grün. Die Spanier, die unfähigen. Hüstelnd verhaltende Schadenfreude bei der sich erst andeutenden gelben Kurve der Brexit-Briten. Wann geht denn die Kurve der Schweden endlich nach oben; und die der USA? Was will man denn erwarten, bei diesen depperten Amerikanern, die Trump wählen?
Grenzbäume herunter. Wir müssen uns schützen. Das Böse, der Feind, dem wir mit Kriegsjargon den Kampf ansagen, sitzt draußen. Den müssen wir bekämpfen. Hier ist die heile Heimat. Witze, dass es die Nordtiroler mit der Ischgl-Geschichte peinlich derwischt hat. Grad ein paar Wochen her, da hatten sie noch lustig über uns gemacht, dass bei uns die Skigebiete mitten in der Hauptsaison schließen mussten. Und doch wieder empörte Solidarität, sobald die Deutschen, der gemeinsame Feind, der immer wieder seine Grenzen vor unserer Schnauze schließt, in Ischgl einen Corona-Herd orten und lokale Politik dafür mit verantwortlich machen. Dieselben Deutschen, deren RKI kurz vorher Südtirol zum Risikogebiet erklärte. Südtirol. Nicht Gröden. Italien ganz explizit inklusive Südtirol. Mitgehangen. Mitgefangen.
Und wieder komplett desinteressiert, wenn Nordtiroler Politiker türkiser noch im Gesicht als im Parteibuch, um ihre Verantwortung drucksend versuchen, staatsmännisch aufzutreten und dabei in bester Trumpscher Manier Medienvertreter der bundesdeutschen Todfreunde ausschließen. Abstand haltend zu überfällig gesellschaftlichen Debatten, die dort von Piefkesaga-Veteranen angezettelt wurden, damit sie auch ja nicht zu uns überspringen. Lieber folgen wir da den Lippen „unseres“ Lanz‘, der täglich die Frage stellt, warum denn die deutschen Bundesländer nicht endlich geeint vorgehen könnten, innerhalb der hochgezogenen Grenzen. Als ob die Frage nicht schon längst wäre: Warum kann nicht Europa, warum kann nicht die ganze Welt geeint gegen die Pandemie vorgehen?
Warum kann nicht Europa, warum kann nicht die ganze Welt geeint gegen die Pandemie vorgehen?
Die Stunde der Globalisierungsgegner schlägt. Wir müssen uns in unseren Nationen verriegeln. Wir müssen uns von internationalen Handelskreisläufen unabhängig machen. Wir müssen die wirtschaftliche Verflechtung zwischen Ost und West rückgängig machen. Friedenssichere Überlegungen, die einst zur Gründung der Montanunion führten, werden pervertiert. Ungestraft pervertiert und applaudiert.
Wir müssen die Grenzen dicht halten. Den Feind draußen halten. Denn was wir nicht sehen, das gibt es nicht. Nicht die globalisierte Weltgemeinschaft soll sich drum kümmern, sondern die lieb gewordenen Nationen treten in einen Wettstreit in der Beschaffung von Gesundheitsmaterial und Personal. In unseren Krankenhäusern und Pflegeheimen dürfen natürlich weiterhin auswärtige, wenn nur gut ausgebildete Pflegekräfte ihre Gesundheit für unsere Gesellschaft riskieren. Ob dann Material und Personal in Moldawien oder am Balkan fehlen, scheiß egal. Hinter den hochgezogenen Grenzen sehen wir nichts, tut uns nichts so weh, wie diese undemokratische Ausgangssperre.
Ob dann Material und Personal in Moldawien oder am Balkan fehlen, scheiß egal.
Nicht sehenden Auges, sondern wissenden Herzens warten wir tatenlos drauf, dass das Virus die Flüchtlingslager in Nahost erreicht, oder die ausreisefreudigen, ausgepowerten Gebiete in Afrika. Die große Krise der letzten fünf Jahre wäre hinweggefegt, un male scaccia l’altro, wenn Covid-19 Kriegsflüchtlinge und andere Migranten in den Lagern hinwegfegen würde. Gut, dass die Grenzen schon oben sind, damit die Überlebenden und wahrscheinlich Infizierten nicht auf die Idee kommen würden, sich abendländisch christliche Hilfe zu erhoffen. Gottes Rache freilich wäre ein sich in genau diesen Lagern mutierendes Corona-Virus und ein Mittelmeer, das sich wie im Exodus österlich besungen teilen würde, damit Hilfesuchende und Todgeweihte trockenen Fußes die mutierten Viren einschleppen und sie kein Salvinischer Erlass vor den Häfen verrecken lassen könnte.
Den Globalisierungsgegnern, die sich schon auf den Eisernen Vorhang zwischen China und dem Westen freuen, die Huawei und Konsorten mit gläsernem Stinkefinger in Schranken weisen, die Handelsverträge mit Füßen treten, die den friedenssichernden Charakter weltweiter Vernetzung leugnen, die noch an den Erfolg von multi-lateraler Politik der My-Nation-First glauben, ihnen sei ins Geschichtsbuch geschrieben: Eine globalisierte Weltgemeinschaft hätte damals, 2020, die Krise bewältigen können, aber leider war der ersehnte Impfstoff nur jenseits der von euch geschlossenen Grenzen verfügbar. Gottes Rache eben.
[veröffentlicht auf Salto, am 4. April 2020]
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